Der Klick im Kopf macht alles möglich
Meine Marathon-Erkenntnisse – Teil 1
Ein Schrittchen entfernt: Qual und Glückseligkeit
Wenn ich daran denke, dann berührt mich das heute noch: Zwei Männer hatten einen dritten in der Mitte, den sie stützten. Langsam, nahezu behutsam, trugen sie ihn fast in Richtung Ziellinie. Aufgeben kam jetzt nicht mehr in Frage. Soweit war der Getragene jetzt schon gekommen, dass man ihn keinesfalls wenige hundert Meter vor der Ziellinie liegen ließ. Der Klick im Kopf macht alles möglich – auch das Mitnehmen eines Wildfremden, weil man es sich selbst auch wünschen würde, wenn man nicht mehr alleine könnte.
Trotz aller Mühsal strahlten diese Drei Glückseligkeit und ganz tiefe Herzensfreude aus. Sie hatten den Marathon gleich geschafft.
Waren Sie schon einmal bei einem Zielleinlauf eines Marathons? Falls nicht, sollten Sie das unbedingt tun, wenn Sie Glücklich-Sein in allen Facetten erleben wollen. Nach zwei Stunden kommen die Profis. Diese Wahnsinnsleistung ringt einem das größte Maß an Respekt und Hochachtung ab. Danach folgen die sehr guten Amateur-Sportler, bei denen man immer noch denkt: „Ui, die sind nicht von dieser Welt.“ Herzergreifend wird es dann ab der Vier-Stunden-Zeitmarke, wenn die Otto-Normalos ins Ziel kommen. Die Gesichter und manchmal auch Körper sind von der Anstrengung gezeichnet, aber die Augen strahlen diese unfassliche Glückseligkeit aus.
Der Fehler im System
Vor Jahren stand ich mit unserem kleinen Sohn im Tragesack am Zielleinlauf in Rotterdam und wartete auf meinen Mann, der mitgelaufen ist. Da stehe ich also hinter dem Absperrgitter, schaue mir das bunte Treiben an, sehe die Ziel-Einläufer und spüre dieses Glück. Das hat mich so berührt und ich habe mir so gewünscht, das auch mal erleben zu können.
Doch gleich darauf meldete sich diese strenge Stimme in meinem Kopf, die sagte: „Naja, das wird wohl für DICH nichts werden.“ Hand aufs Herz, in diesem Moment war ich fast ein wenig neidisch und in die Bewunderung und Freude für die Läufer mischte sich eine kleine schale Bitterkeit.
Ein paar Wochen später waren wir im Urlaub. Die Wirtin, die eine ähnliche Lebenssituation hat wie ich – Kinder, Business, einen vielbeschäftigten Mann, Haushalt – begrüßte uns, im Vergleich zu früher sehr schlank und durchtrainiert, und erzählte mir, dass sie seit ein paar Monaten Sport in ihr Leben geholt hat und jetzt läuft und Rad fährt. Dieses Erlebnis hat mich echt getriggert, denn ich habe erkannt, dass der Fehler für meine Faulheit nicht im System liegt, sondern in mir. Das war nicht besonders angenehm, doch es führte dazu, dass ich mir zu Hause Turnschuhe gekauft habe und mit dem Joggen angefangen habe.
Beatmungszelt und Schweinehund
Von uns zu Hause in Stuttgart bis zum Schlossgarten hinter dem Hauptbahnhof sind es zirka zwei Kilometer. Als ich die ersten Male unterwegs war, hatte ich am Bahnhof größte Sehnsucht nach einem Beatmungszelt. Den Heimweg habe ich auf Schleichwegen absolviert, damit auf keinen Fall jemand mein tomatenrotes Gesicht sah.
So ging das dann zirka vier Wochen – und jedes Mal fiel es mir leichter. Ich wurde auch leichter, was die anfängliche Motivation auf natürliche Weise verringerte: Meine Trägheit und der Schweinehund kehrten zurück. Es gab aber den Unterschied, dass ich nun genau wusste, dass ich es besser konnte und deshalb fühlte sich jedes dem Schweinehund-Nachgeben so ein bisschen nach Rohrkrepierer und Versagen an. Eines Tages kam mir dann DIE Erkenntnis: Ich brauche ein echtes Ziel. Eines, das mich länger und richtig fordert.
Mut oder Wahnsinn?
Als mein Mann sich für seinen nächsten Marathon anmeldete, habe ich mich mutig für den parallel stattfindenden 10 km-Lauf eingeschrieben. 10 Kilometer – das war utopisch viel für mich – und ich habe mich gefragt, ob das nun mutig oder eher wahnsinnig ist, aber ich bin dann langsam und stetig losgewackelt. Regelmäßig. Weil ich wissen wollte, ob ich das schaffe – und um sicher zu gehen, dass der Schweinehund nicht mein Ziel frisst, habe ich es auch öffentlich gemacht.
Bei diesem Zieleinlauf in jenem ersten Rennen hatte ich Tränen in den Augen, da ich dieses Ziel, das für mich im Vorfeld undenkbar war, geschafft habe. Ich war – und bin immer noch -stolz wie Bolle, dass ich mich nicht von mir selbst habe ins Bockshorn jagen lassen.
Der Klick im Kopf macht alles möglich
Außerdem habe ich gespürt, dass noch mehr möglich ist, wenn ich das gedanklich zulasse und mich darauf einlasse, also meine bisherige Komfort-Zone verlasse. Diese Entscheidung, dieser kleine Klick im Kopf, dass ich es für möglich halte und damit beginne, es umzusetzen, ist meines Erachtens der erste und eigentlich entscheidende Moment für Erfolg. Nicht nur im Marathon/ Sport, sondern immer – IMMER.
Grenzen sind oft „nur“ in meinem Kopf: Weil ich denke, dass es nicht geht, geht es auch nicht. Es ist wie beim Fahrrad-Fahren: Man fährt immer dahin, wohin man schaut. Es geht immer viel mehr, als man denkt und die übergeordneten Ziele sollten immer „Marathon-Ziele“ sein: Diese erreicht man nicht über Nacht, aber jeder Schritt ist einer in die richtige Richtung. Denn der Klick im Kopf macht alles möglich.
Und die eine wichtige Frage
Neben diesem Wissen gibt es noch eine wichtige Frage, die den weiteren Ablauf von allem beeinflusst. Sie lautet: „Was ist das Ziel?“
Es ist strategisch effektiver und ressourcenschonender, sich das immer im Vorfeld zu fragen, was am Ende rauskommen soll. Beim Laufen ist es ein Unterschied, ob ich lange laufen gehe oder Schnelligkeit trainiere – denn diese Frage entscheidet das Tempo, in dem ich losgehe, welche Verpflegung ich mitnehme, was ich anziehe und wie ich mich natürlich auch mental darauf einzustellen.
Diese Fragen der Kleidung, des MindSets, der Vorbereitung sind genauso maßgeblich, wenn es um Termine im Business oder andere Herausforderungen geht. Die wichtigste Frage lautet also immer: Was ist das Ziel? Was soll am Ende sein?
Thinking different. Das ist der Schlüssel zum Erfolg
Fazit 1: Setzen Sie sich ganz eigene „Marathon-Ziele“, also solche, die heute nicht nur visionär sondern nahezu utopisch erscheinen. Weil Sie dann in die richtige Richtung laufen.
Fazit 2: Bei allem, was Sie tun, fragen Sie sich vorher, was Ihr Ziel ist. Denn dann tun Sie das, was diesem Ziel dienlich ist und eben nicht das, was sonst Ihren Weg kreuzt.
Ich freue mich auf Ihre Meinung, gerne an es@evelyn-siller.de.
Herzlich, Ihre Evelyn Siller